Im Frühjahr 2018 haben Frau Sonja Merz (Betreiberin des Sonja Merz-Zeltes auf dem Cannstatter Wasen) und ihr Team meinen Kunden Club Kowalski (Aufgabenbereich Text, PR & Social) angefragt, ob man sich vorstellen könnte, während der Wasenzeit 2018 (28.9. bis 14.10.) die Jägermeister Bar direkt neben dem Sonja Merz-Zelt zu hosten.
Der Club Kowalski steht für elektronische Musikkultur und die sollte in einem bis dato nie dagewesenen Experiement 17 Tage lang den Wasen bereichern, auf dem musikalisch (bekanntlich) Schlager, Volksmusik, Chartmusik etc. dominieren.
Die Idee der Kowalski-Betreiber war, den Spirit von großen Festivals mit dem Wasen zu vereinen. Meine Aufgabe war es, dies textlich auszuarbeiten und auszuformulieren, um das Sonja Merz-Team von diesem Vorhaben zu überzeugen – was letztenendlich gelang und das Kowalski mit viel Deko-Liebe und hoher Motiviation einen furiosen Wasen-Einstand feierte.
Auszug Konzept
Was verbindet den Wasen, das Festzelt und den Club Kowalski? Es ist das Riesenrad. Das Riesenrad gilt als Symbol für Lebensfreude schlechthin und erfährt dank internationalen Electronic Dance Music (EDM)-Festivals eine Renaissance in einem jungen, hedonistischen Party-Kontext, den auch das Kowalski vertritt. Kein Festivalgast lässt es sich entgehen, auf Instagram einen Selfie vor dem Riesenrad zu posten. Das Coachella in den USA ist hierfür nur das bekannteste Beispiel, wie sich das Riesenrad als Symbol für Freiheit und Party-Lifestyle etabliert hat.
An diesem Punkt wollen wir mit unserem Konzept für die Jägermeister Bar im Sonja Merz-Zelt anknüpfen. Wir als Kowalski wollen den Charakter, Flair und Entertainment-Faktor eines EDM-Festivals mit dem Wasen verbinden und dabei wiederum eine Brücke vom Festzelt zu unserer Stammlocation am Stuttgarter Hauptbahnhof schlagen. Viele unserer Stammgäste besuchen Jahr für Jahr leidenschaftlich gerne das Cannstatter Volksfest. Die Übergänge zwischen elektronischer Clubkultur und Rummel sind längst fließend.
An diesem Punkt wollen wir mit unserem Konzept für die Jägermeister Bar im Sonja Merz-Zelt anknüpfen. Wir als Kowalski wollen den Charakter, Flair und Entertainment-Faktor eines EDM-Festivals mit dem Wasen verbinden und dabei wiederum eine Brücke vom Festzelt zu unserer Stammlocation am Stuttgarter Hauptbahnhof schlagen. Viele unserer Stammgäste besuchen Jahr für Jahr leidenschaftlich gerne das Cannstatter Volksfest. Die Übergänge zwischen elektronischer Clubkultur und Rummel sind längst fließend.
Seit das SEMF-Festival vor Weihnachten in der Messe ausgetragen wird, betreue ich für die StZ/Stadtkind die Kolumne „Techno mit Semf, bitte!“ (Glaub der Name ist sogar noch von Tobi Köhler, der olle Raver und heute Digitalstratege bei der SWMH.) Dabei versuchen wir jährlich das Spektakel, das zwischenzeitlich knapp 17.000 Menschen anlockt, aus verschiedenen Winkel und Sichtweisen zu beleuchten und gleichzeitig auch eine Art Techno-Bilanz des Jahres ziehen.
Aktuell bereite ich mich auf das SEMF Special 2016 vor und da stieß ich auf ein Interview mit hoch geschätzten Walter Ercolino aus dem letzten Jahr. Walter stand einst selbst auf den größten DJ-Bühnen und ging dann sozusagen mit seinem Label Meerestief in den Underground zurück. Heutzutage ist für das Stuttgarter Musikstreaming-Unternehmen Heardis tätig, sehr aktiv bei den Grünen und hat das Clubförderungs-Model in der Stadt Stuttgart durchgesetzt. Ein brillanter Denker, ein kluger Kopf, der sich nicht hinter einer F.A.Z. verstecken muss.
—-
Vor gut 20 Jahren knallte Marusha mit „Somewhere Over The Rainbow“ durch die (deutschen) Charts und spätestens seitdem war klar: DJs können auch Popstars sein – und heutzutage sind sie sogar mitunter Multimillionäre. Im Rahmen unserer Kolumne „Techno mit SEMF, bitte“ reden wir mit Walter Ercolino über mitunter bizarre Entwicklung der DJ-Culture in den letzten 20 Jahren, ein überhitztes Headliner-Tum und der große Graben zwischen Stars und den Locals an der Front. Der Stuttgarter bereicherte genauso lang selbst als DJ, Produzent und Veranstalter mit verschiedenen Projekten die Szene und hat unzählige Platten veröffentlicht und auf Mainstages gestanden. Walter Ercolino ist im Stuttgarter Clubkollektiv und im Bezirksbereit Stuttgart Ost aktiv und vor allem ein profilierter Denker, der sich intensiv mit Stadt und Kultur auseinandersetzt.
Wie wirken Großveranstaltungen wie die SEMF auf dich?
Für Stuttgart ist es gut, dass es eine elektronische Großveranstaltung wie die SEMF gibt, die inzwischen überregional bekannt ist. Bandbreite in den verschiedensten kulturellen Bereichen gehört für eine Großstadt dazu und man muss den Machern Respekt zollen, für das, zu was sie die SEMF gemacht haben. Persönlich kann ich aber nichts damit anfangen. Zuviel Hype um große Namen, die dementsprechend viel Publikum anziehen müssen, damit sich das Ganze am Ende rentiert.
Für mich ist der Club der ideale Ort für elektronische Musik. DJ-Culture ist für mich nicht unabhängig von Orten zu denken und eine Stärke war schon immer, sich Orte ein zu eignen, die für etwas ganz anderes gedacht waren. Mein Alltime-Lieblingsclub ist immer noch das E-Werk in Berlin (wichtiger Techno-Club Mitte der 1990er, d. Red). Improvisation war schon auch immer Teil der DJ-Culture, das durchgeplante Event weniger.
Du standest selbst schon auf den großen Bühnen. Wie hart kickt das, wenn vor dir mehrere 1000 Leute stehen?
Denjenigen möchte ich sehen, der behauptet vor 1000 Leuten aufzulegen lässt ihn kalt. Ist schon ein Adrenalinschub, allerdings auch hier, die besseren Partys waren immer in den kleinen Clubs.
Ein (Techno)Festival lebt und lebte schon immer von Headlinern, das ist seit Anfang/Mitte der 90er so. Wann hast du dir das erste Mal gedacht, dass das mit dem anonymen Techno-Ansatz überhaupt nichts zu tun, der sich eigentlich – so die Gründer von Techno – von Popmusik und seinem Starkult lösen wollte.
Ja, krass. Der DJ war ganz am Anfang Plattenleger, hat Ansagen zwischen den Stücken gemacht, danach, mit dem Aufkommen der elektronischen Musik, trat er immer mehr hinter die Musik zurück. Der klassische Techno-Ansatz war: die Musik ist der Star, nicht der DJ. Wenn man so will eine klassenlose Gesellschaft, kein Unterschied zwischen dem, der da oben auflegt und denen, die da unten tanzen.
Ich habe das immer so gesehen, dass die Techno-Musik einen sozialen Raum schafft, der Individualität verspricht, aber auch Zelebrierung von Gemeinsamkeiten unter dem gleichen Beat ermöglicht. Die Anonymisierung spielte dabei natürlich dabei eine wichtige Rolle. Underground Resistance (Label und Künstler aus Detroit, d. Red.) war Name und Programm zu gleich. Bis der DJ selbst als Unternehmer entdeckt wurde, unbedingt Popstar sein wollte und den Vermarktungslogiken der Kulturindustrie erlag.
Techno-historisch gesehen war Marushas „Somewhere Over The Rainbow“ der finale Auslöser, als „Gamechanger“ würde man sie heute bezeichnen. Spätestens seitdem weiß man, dass der DJ auch Popstar sein kann (mit Bravo und allem Pipapo). Was ist aber der Unterschied zwischen den heutigen DJ-Millionären zu den ersten Stars der einstigen „Raving Society“, die Mitte der 1990er euphorisch ausgerufen wurde (und auch bald wieder ad acta gelegt wurde)?
Die Raving Society hat die Basis gelegt, für das was wir heute vorfinden. Sie feierte die Redundanz der Gesellschaft, die Party wurde auf die Strasse verlegt, mit den Massen setzte die Kommerzialisierung und die sogenannte Logik der Märkte ein. Ich glaube, dass solche Entwicklungen nicht getrennt gesehen werden können von den Entwicklungen in den restlichen Teilen der Gesellschaft. So fand parallel zu ihr auch eine Neoliberalisierung des DJs statt, der DJ ist gewissermaßen nur noch Ware, die es bestmöglich zu verkaufen gilt und zwar ohne Einschränkungen. Was zählt ist die Gewinnmaximierung.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie stolz wie wir alle waren, auch wenn es keiner zugeben wollte, als es Members of Mayday mit „Sonic Empire“ (1997) auf die Nummer 1 in den Charts gebracht hatten. Techno hat die etablierte Musik vom Thron gestoßen, yeah! Allerdings war das auch der Turning Point. Man hat begriffen, welches kommerzielles Potential in dieser 4/4 Basedrum steckte. Während Marusha noch aus Zufall zum Popstar wurde, wurde spätestens ab dann versucht, mit Kalkül Techno und den DJ zu kapitalisieren.
Heutzutage verdient eine kleine Sperrspitze an DJs Millionen. Einerseits ist das voll okay, manche von ihnen sind einen weiten Weg gegangen (David Guetta legt z.B. seit Ende der 1980er auf), die meisten stehen vielleicht auch zurecht oben, man gönnt das denen, oder anders gesagt, es ist dir irgendwo egal, es ist ja nicht dein Geld, sie füllen ganze Stadien und schaffen wiederum Arbeitsplätze/Kaufkraft etc.. Auf der anderen Seite denkt man sich: Ihr spielt zwei Stunden lang Musik von euch und von fremden Künstler von einem USB-Stick herunter – ist diese Tätigkeit wirklich ein hoher fünfstelliger bis sechsstelliger Betrag wert? Ist das nicht total verrückt?
Nun, da stellt sich natürlich schnell die Frage, wie denn der Wert von Tätigkeit heutzutage festgelegt ist. Warum verdient der VW Manager Millionen und wird selbst bei Versagen mit hohen Abfindungen bedient, während die Krankenschwester oder Kindergartenpädagogin, die nachweislich sinnvolles tut, kaum davon leben kann.
Letztendlich ist die Dienstleistung des DJs klassisch gesehen Ware, die einen bestimmten Gebrauchs- und Tauschwert hat. Und anscheinend stillen die David Guettas dieser Welt Bedürfnisse, die diese hohen Gagen rechtfertigen. Oder man kann es auch anders sagen, das EDM Gedönse und die dazugehörigen DJs erfüllen vollauf Adornos und Horkheimers These der Kulturindustrie. Aber klar, verrückt ist es in jedem Fall, es scheint aber der Markt herzugeben und das ist es leider was heute zählt – mehr denn je.
Ich find das immer noch verrückter, wenn man das mit einer Rockband vergleicht, die natürlich nicht am Hungertuch nagt, aber die meinetwegen mit 40 Trucks durchs Land tourt und sich wenigstens zwei bis drei Stunden lang auf der Bühne mit ihrer eigenen Musik einen abrackert, also sicherlich mehr kann als zwei oder drei CD-Player zu bedienen.
Gut, anderseits ist natürlich kein DJ nur noch DJ heutzutage, sondern produziert auch seine eigene Musik. Und wenn du dich mit einem am Konservatorium jahrelang ausgebildeten Musiker unterhältst, wird dieser einen ganz anderen Begriff von Können haben. Und keiner rackert sich mehr auf der Bühne ab als Steve Aoki, der riskiert ja bei jedem seiner Auftritte sprichwörtlich sein Leben! (lacht) (Steve Aoki ist für halsbrecherische Einlagen bekannt, d. Red.)
Aber klar, ich verstehe deinen Punkt. Umso wichtiger ist es eben, dass Künstler nicht nur vom Markt abhängig sind. Deswegen ist Kultur- und Kunstförderung enorm wichtig. Ich mag gar nicht daran denken, was passiert, wenn der Kulturbereich nur noch ökonomischen Prinzipien unterworfen wäre.
Gibt es einen Betrag X, von dem du sagst, abzüglich aller Faktoren, die FÜR den Star-DJ und seiner „Leistung“ sprechen, dass er hohe Gagen bekommt, die Summe X, die reicht jetzt wirklich für einen DJ und seine Tätigkeit, seine Zugkraft etc., alles drüber hinaus ist absolut Banane und völlig hirnrissig.
Avicii verdient 19 Millionen pro Jahr mit dünnen Popsongs, aber ich würde das in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einbetten. Es gibt wenige, die pervers viel verdienen und viele, die gar nichts haben.
Um bei Avicii zu bleiben: Er ist in einem demokratischen Land aufgewachsen und in einer Gesellschaft, die dafür sorgt, dass wir alle mehr oder weniger die Freiheit genießen, das zu tun, was wir wollen – seinem Erfolg hat er auch diesen Faktoren zu verdanken. Die Frage ist, was er dafür der Gesellschaft zurückgibt. Außerdem gibt es da ja auch eine moralische Komponente. Bei solchen Summen plädiere ich schon für ein moderates Umverteilungssystem. Man könnte die Grenze auch ruhig großzügig ansetzen, von mir aus eine Million im Monat als Verdienst ist okay. Der Rest geht zurück an den Staat, der das z.B. gezielt für Künstlerförderung einsetzen könnte. Da wären im Fall von Avicii immerhin noch 7 Millionen.
Ist dieser nochmals gerade in den letzten zehn Jahren immens gewachsene Hype um DJs auch ein Abbild unserer Gesellschaft, in der man öfters scheinbar immer weniger können, muss um berühmt zu werden? Siehe z.B. so manche Drogeriemarkt-Artikel-Youtuber oder, weltbestes Beispiel, Kim Kardashian, die scheinbar einfach gar nichts kann?
Nun, eines können sie: Aufmerksamkeit generieren. Und die Aufmerksamkeit lässt sich dann wieder in bare Münze umsetzten. Inzwischen sind YouTube Klicks oder Facebook Likes etc. ja auch zur Währung mutiert. Die Marke zählt. Wenn der Brand stimmt, lässt sich alles verkaufen, Musik oder Kartoffelchips ist dann auch egal. Diese Aufmerksamkeitsökonomie scheint der materiellen Ökonomie langsam den Rang anzulaufen.
Die Frage ist inzwischen, wie das knappe Gut der Aufmerksamkeit verteilt wird und wer dieses an sich binden kann. „Können“ im Sinne einer handwerklichen oder intellektuellen Beherrschung ist da nicht unbedingt Voraussetzung für Erfolg. Übrigens genauso wenig wie in der DJ-Culture inzwischen. Der Sync-Button hat das handwerkliche Können schon längst ersetzt.
Das ganze DJ-Star System funktioniert ja letztendlich auch nur, weil viele mitmachen…
Natürlich fangen im Clubbereich die Problematiken schon im Kleinen an, dort versagt oft die Selbstregulierung des Clubs. Ich kann mich noch an Forderungen von DJs bei unseren Events erinnern, neben der Gage und 4-Sterne-Hotel, noch Flug für die Freundin, den Booker und dessen Freundin. Wohlgemerkt der Booker wäre nur dazu da gewesen, den Rest der Gage abzuholen. Da gab es einige Überraschung. Wenn es um die Musik ging, immer schön von Undergroud reden, als es um die Kohle ging, waren wir dann aber schnell beim Overground. Anstatt einem „Fuck you“, lassen sich viele Veranstalter und Clubbesitzer drauf ein.
Irgendwann wird die einzige Bezugsgröße die Gästeanzahl. Das basiert natürlich auch immer noch an der eigenen Wahrnehmung des Clubbesitzers/Veranstalters als Unternehmer, der dann eben in den Wettbewerb einsteigt. Aber ich sehe da langsam einen Wandel bei den Clubs. Weg vom reinen Profitdenken, hin zu einem Verständnis als einen Ort für Popkultur, bei dem nicht nur Profit zählt. Das Freund & Kupferstecher ist da ein gutes Beispiel dafür in Stuttgart.
Global gesehen sprechen manche wiederum von einer (Techno)Blase, die sich aufgrund einer Spirale aus Gagen in die Höhe treibenden Fixpunkten wie Festivals, Ibiza, Las Vegas und allgemein dem amerikanischen Markt, über die letzten Jahren hinweg aufgebläht hat und die nun bald platzt. Was denkst du?
Mit ziemlicher Sicherheit sogar. Der Peak ist überschritten. Wie heißt es so schön, der Markt ist gesättigt. Jetzt wird noch rausgeholt was geht. Aber ist trotz allem ein interessantes Phänomen. Vor allem in Verbindung mit EDM. Da ist eine Musik entstanden im elektronischen Bereich, die nur dazu da ist, Massen in Stadien zu ziehen, Techno auf seine kommerzielle Seite reduziert, reinster DJ-Kapitalimus. Die Raving Society hat sich neoliberalisiert.
DJ-Culture hatte auch schon immer was mit Rock n´Roll zu tun und EDM ist wohl irgendwie der Versuch, Rock n’ Roll zu machen – nur eben ohne Rock. Das Dreckige, Kantige wurde rausgelassen und herausgekommen ist etwas, das glatt, leicht verdaulich ist, mit beliebige Melodien und austauschbaren DJs. Der verschwitze DJ, der mit dem Rücken zu Publikum nach seinen Platten sucht, wurde ersetzt durch den Jetset-DJ, der mit seiner gesamten Entourage von Road-Manger bis Imageberater für Gigs in Stadien kurz auftaucht. Das so etwas ohne Substanz nicht ewig hält, ist ja auch klar. Und wenn man kein Geld mehr damit machen kann, suchen sich die Investoren etwas anderes.
Gehen wir vom schillernden Jetset in die Niederungen des nüchternen DJ-Alltags: Wöchentlich kämpfen Abertausende von Locals, der Bodensatz der Branche, an der harten Front für ein bisschen Party und werden mitunter immer öfter geringschätzig und respektlos behandelt oder noch fieser, gar nicht beachtet, selbst wenn sie, gerade im Fall von elektronischer Musik, prinzipiell nichts anderes machen als die Big Player. Da sieht man Leute mit leuchtenden Augen ins Berghain oder nach Ibiza pilgern, aber daheim in Stuttgart interessiert sie die Musik von DJ Horscht 1000, der vielleicht sogar manchmal etwas besser sein kann, keine Sau. Wie erklärt sich das?
Da gib es einige Gründe. Zum ersten wohl das, was Marx „Die Akkumulation des Kapitals“ nannte. Ein paar Super-DJ auf der einen Seite und „verarmte“ DJs auf der anderen Seite, die für wenig Geld den ganzen Abend auflegen. Der Mittelstand scheint wegzubrechen. Und wenn du in der eigenen Stadt auflegst, ist schon mal klar, dass du nicht unbedingt zum DJ-Jetset gehörst, du wirst automatisch zur unteren Liga gezählt, unabhängig von deinen Skills. Das Hauptding, dass der DJ gute Musik aufzulegen soll und dadurch für einen geilen Abend sorgt, tritt in den Hintergrund. Wenn du nicht irgendwie zur Elite gehörst hast du es schwer, egal wie gut du bist. Es gibt ja auch kein DJ, vor allem im elektronischen Bereich, der nicht produziert. DJ alleine zu sein reicht schon lange nicht mehr. Das Phänomen des Resident-Djs ist ja auch so gut wie verschwunden.
Ich bin selbst kein Fan davon, die DJ-Tätigkeit überhöht darzustellen (außer natürlich z.B. bei Turntablism) und denke, ein DJ sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten ein schönes Erlebnis schaffen. Aber der DJ wird in manchen Örtlichkeiten von den Gästen fast schon als Leibeigener angesehen, die Jukebox, nach dem Motto: „Du musst mich jetzt rocken, der Kunde ist König, es läuft was ICH will.“ Also genau das Gegenteil an Erwartungen, wie vielleicht selbiger Gast an seine Stars im Berghain, Ibiza oder wo auch immer hat. Denn da gibt er sich voll und ganz hin und jubelt dem DJ wie einem Messias zu. Woher rühren diese Differenzen?
Ich glaube, dass in großen Teilen der Bevölkerung durch die Digitalisierung Musik als beliebig reproduzierbares Phänomen wahrgenommen wird, das jederzeit ohne Schwierigkeiten zugänglich und zu besitzen ist. Und anscheinend hat sich auch der DJ dem unterzuordnen. Clubs wie das Berghain sind ja inzwischen eine weltweit bekannte Marke, mit der sich natürlich ein bestimmter Stil und Geschmack verbindet. Wenn du dort auflegst, erfüllst du automatisch Kriterien, die dich zu einer bestimmten Kategorie von DJ macht, der dann bestimmte Erwartungen erfüllt. Das Geschmacksurteil wird schon im Vorfeld durch das Berghain festgelegt und duldet keinen Widerspruch.
Inwieweit tragen deiner Meinung nach die DJs selbst Schuld an diesem diffusen Gesamtbild ihres Berufes – dort König, hier „Partysklave“?
Ich verstehe natürlich, dass man als DJ unbedingt auflegen will, koste was es wolle, besonders wenn man an Anfang steht. Genauso, wenn jemand davon lebt, dass man sich ab und an verbiegen muss, würde ich keinem vorwerfen. Da muss jeder selber entscheiden, wie weit er gehen will und vor allem was er erreichen möchte. Eine gewisse Attitude schadet aber nie.
Ist es heutzutage wiederum leichter König zu werden als vor 20 Jahren?
Ich glaube, da hat sich nicht so viel geändert, wenn natürlich die Methoden komplett andere sind. Allein dadurch, dass du geil auflegst oder gute Tracks machst, bist du noch nie zum König geworden. Das hat jeder Zeitabschnitt seine eigenen Regeln.
Auf jeden Fall ist es heutzutage wesentlich leichter als vor 20 Jahren, elektronische Musik zu produzieren. Ist das nun gut oder schlecht?
Gute Frage. Es hat natürlich eine Demokratisierung stattgefunden. Mit relativ kleinem Budget kann man schon Musik machen, viel mehr Menschen können an diesem Prozess teilnehmen. Das finde ich in jeden Fall grundsätzlich gut. Aber das ist ja nun kein politischer Akt, sondern ein ästhetischer. Und Redundanz halte ich in den seltensten Fällen, wenn es um Ästhetik geht, gut. Das heiß, es machen zu viele Leute Musik, die davon die Finger lassen sollten.
Hinzu kommt, dass soziale Medien, wie z.B. Soundcloud das Veröffentlichen auch noch leicht machen und die finanziellen Hürden, im Gegensatz zu einer Vinyl-Veröffentlichung auch gering sind. Dadurch kommt unheimlich viel Müll auf den Markt. Schau dir alleine die Neuheiten auf Beatport an, Unmengen von Tracks. Andererseits entdeckt man auch wirkliche Perlen. Aber auch diese treten ja in den Wettbewerb um die Aufmerksamkeit mit den anderen. Und der scheint mir immer härter zu werden. Wenn gestern noch 20.000 Plays bei Soundcloud ein Erfolg waren, müssen es eine Woche später schon 30.000 sein. Und du verdienst mit deiner Musik so gut wie keine Kohle mehr. Musik ist heutzutage Plattform um an DJ-Gigs ranzukommen, die dann Einnahmen generieren.
Aber der Rock´n` Roll Gedanke ist bei den Kids nach wie vor da, dass finde ich schon cool. Egal wie schwierig es ist, jeder ist prinzipiell der Meinung, dass er es mit seiner Musik schafft. Das war schon immer ein wichtiger Antrieb der Popkultur.
Wohin denkst du, wird sich die ganze DJ-Culture in den nächsten Jahren entwickeln? Die Stars auf der einen Seite und anderorts wird ein Roboter hingestellt, der auf Zuruf Lieder abspielt? Dafür spricht ja z.B. eine App wie Wago, die Stuttgarter kürzlich auf den Markt geworfen haben. Untertitel übrigens „it´s your night“, was ja wiederum im Clubbing-Kontext totaler Quatsch ist, weil im Club sollte es immer nur um „WIR“ gehen und nicht um „Ich“, da macht ja einen Club aus.
Wahnsinn, oder? Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig. Als nächstes dann eine Pappfigur statt einem DJ und es werden die Best of Spotify Listen abgespielt und am Ende dann der Roboter auf Zuruf. Was für eine total bescheuerte Idee, einer der wichtigsten Funktionen des Djs, die des Selektor auszulagern, und die Musik von der Mehrheit des Publikums bestimmen zu lassen, die Masse also, was am Ende nur Mainstream heißen kann. Genau das ist ja die Aufgabe eines guten DJs, Schnittstelle zwischen Entertainment und seiner Musikmission zu sein, seinen Geschmack dem Publikum begreifbar zu machen und zusammen großartige Nächte zu erleben.
Aber so eine App ist so ein typisches Generation Sell-Ding. Heutzutage ist irgendwie jeder Unternehmer und hat das nächste große Ding am Laufen. Ich bin ja froh, wenn ich jemanden treffe, der nicht weiß, was er machen soll, das ist richtig erfrischend. An den Unis wird ja den Studenten auch systemisch das Denken abgewöhnt, der Bachelor ist nur dafür da, sogenanntes Humankapital für den Arbeitsmarkt bereitzustellen. Aber ich bin mir sicher, auch so etwas wie diese App übersteht die DJ-Culture, kein Grund für Kulturpessimismus bezogen auf den DJ. Zuviel Hype erzeugt immer auch eine Gegenkultur.